"Werdet wie die Kinder!" - Was Buddhismus und Christentum verbindet

Ein kleiner Mann auf Reisen - Eckhart Tolle in Basel & Salzburg


Eckhart Tolle - kommt ursprünglich aus Deutschland
Eckhart Tolle - kommt ursprünglich aus Deutschland

 

Immer wenn ich mir eine Aufnahme oder einen Podcast von Eckhart Tolle [1] - einem der wohl bekanntesten spirituellen Lehrer unserer Zeit ansehe, fühle ich mich danach berührt und beschenkt.

 

Durch seine schlichte, unprätentiöse Art die Dinge zu erklären, versteht er es Menschen unmittelbar zu erreichen. So auch vor nicht allzu langer Zeit - kurz vor dem Beginn der Corona Krise, als er für drei Vorträge aus Kanada in die Schweiz, nach Österreich und Deutschland kam.

 

Ich reiste zwar nicht persönlich hin, hatte aber die Möglichkeit mir die Vorträge aus Basel und Salzburg online anzusehen.

 

 

 

 

 

 

Erster Eindruck


Da sitzt er also, dieser kleingewachsene, "putzige" Mann auf einer riesigen Bühne vor ein paar Tausend Leuten in seinem Stuhl, nur mit einem kleinen Tischchen und einem Glas Wasser ausstaffiert und beginnt in seinem liebenswerten "English - German Accent" (Tolle ist im westfälischen Lünen geboren und ist bis zu seinem 13. Lebensjahr in Deutschland aufgewachsen, bevor es ihn zunächst nach England und schließlich nach Kanada verschlug) mit seiner sanften, leisen Stimme an zu sprechen.

 

Frei und ohne Manuskript - wie immer.

 

 

Es geht hier nicht darum, den Inhalt seines Vortrags in gänze wiederzugeben, sondern vielmehr, was davon im Herzen

bei mir ankam.

 

 

 

Mitgefühl und Nächstenliebe


 

Und Gott sprach:

"Du sollst deinen Nächsten lieben wie dich selbst."

 

 

So heißt es bereits im alten Testament. Und Jesus hat durch seinen Tod am Kreuz für uns Menschen den größten Beweis seiner Nächstenliebe erbracht.

 

Im Buddhismus geht es ebenfalls ganz zentral [2] um die Entwicklung von Mitgefühl für alle fühlenden Wesen, neben Menschen zählen hier natürlich auch die Tiere dazu.

 

 

 

 

Entscheidend hierfür ist jedoch zunächst Mitgefühl für sich selbst zu entwickeln!

 

 

So betont Seine Heiligkeit der Dalai Lama:

„Damit man echtes Mitgefühl für andere entwickeln kann, muss man zuerst ein Fundament haben, auf dem man Mitgefühl kultivieren kann. Dieses Fundament ist die Fähigkeit, sich mit den eigenen Gefühlen zu verbinden und sich um sein eigenes Wohlergehen zu kümmern … Fürsorge für andere bedarf der Fürsorge für einen selbst.“ [3]

 

 

Auch in meinen Augen ist dies ein entscheidender Punkt:

 

So erlebe ich es in der therapeutischen Arbeit mit meinen Klienten und Klientinnen sehr häufig, dass es genau an dieser Selbstfürsorge mangelt! Wir bemühen uns dann in der Therapie ganz gezielt hieran zu arbeiten. Wichtig ist mir in diesem Zusammenhang darauf hinzuweisen - da es hier häufig zu Missverständnissen kommt - dass Mitgefühl für sich selbst nichts mit Narzissmus oder Egozentrismus zu tun hat. Die beiden letztgenannten Ausprägungen stehen sogar im krassen Widerspruch zum Selbstmitgefühl! [4]

 

 

Im übrigen geniesst Jesus auch im buddhistischen Kontext hohes Ansehen und wird als ein "Bodhisattva" angesehen: Ein erleuchtetes Wesen, das „Buddhaschaft anstrebt beziehungsweise in sich selbst realisiert, um sie zum Heil aller lebenden Wesen einzusetzen." [5]

 

Der altruistische Gedanke verbindet also die beiden Glaubensrichtungen stark.

 

 

Darüber hinaus verweist der Dalai Lama immer wieder auf den - in seinen Augen - "Vorbildcharakter" von christlichen Organisationen im humanitären Bereich bei der Hilfe und Versorgung von armen und bedürftigen Menschen, sowie Menschen mit einem körperlichen oder psychischen Handikap.

 

 

Für mich, katholisch sozialisiert und aufgewachsen in den Tiefen Bayerns, dreimaliger "Kaiser Augustus" beim weihnachtlichen Krippenspiel sowie langjähriger Ministrant ("Messdiener" für alle Nordlichter :-) freut diese - von Eckhart Tolle herausgestellte -  Gemeinsamkeit natürlich, wenngleich es in meinem katholischen Umfeld mit der "Nächstenliebe" bisweilen nicht immer so weit her war und auch nicht selten Wasser gepredigt, aber Wein getrunken, oder besser gesagt "Bier gesoffen" wurde! :-)

 

 

 

Was es mit dem HIMMELREICH auf sich hat


 

Jetzt wurde es spannend, denn Eckart Tolle sprach über den Himmel!

Wie oft hatte ich in meiner Kindheit von Pfarrern oder Religionslehrern gehört:

 

"Wenn Du brav bist und Dich an die zehn Gebote hältst, dann kommst Du in den Himmel!"

 

"Wenn nicht und Du sündigst: Dann kommst Du

in die Hölle!"

 

 

Dies war es, was mir aus meiner Kindheit in Erinnerung geblieben war:

Gut oder schlecht! Himmel oder Hölle!

Dazwischen gab es nichts! Immerhin:

Es herrschte Klarheit! :-)

 

 

Und wieder schaffte es der kleine Mann mit der Wahlheimat Vancouver die beiden Welten harmonisch miteinander zu verbinden. Mit HIMMELREICH sei gemeint, das Bewusstsein zu entwickeln, wir sind nicht getrennt voneinander, wir sind miteinander verbunden.

 

Der "Himmel" im Christentum habe keine andere Bedeutung als das "Erwachen" im Buddhismus.

 

Zu erkennen:

Es gibt kein Schwarz oder Weiss - kein Gut oder Böse - kein Du oder Ich - KEINE trennende Dualität auf der letztendlichen Ebene.

 

Es ist alles EINS!

Menschen, Tiere, Pflanzen, das Universum sind tief miteinander verbunden. Der äussere Körper stirbt irgendwann, das BEWUSSTSEIN bleibt!

 

 

Dass Tolle mit dieser Interpretation des Himmelreiches nicht in Übereinstimmung mit der offiziellen Kirchenmeinung oder gar der des Vatikans steht, nimmt dieser billigend in Kauf... Ich übrigens auch :-)

 

 

 

 

"Werdet wie die Kinder!"


 

..... sagt Jesus in der Bibel!

 

Genauer noch:

"Wenn ihr nicht umkehrt und werdet wie die Kinder, so werdet ihr nicht ins Himmelreich kommen!" [6]

 

Was  bedeutet das?

 

Kinder sind spontan, unvoreingenommen, intuitiv, kreativ, besitzen ursprüngliche Lebensfreude und bedingungsloses Vertrauen. Das Gegenteil von uns Erwachsenen, die wir viel im Kopf sind, alles abwägen müssen, mit allerlei Konzepten und Vorurteilen behaftet sind.

 

 

Manchmal verwenden wir sogar Alkohol oder andere Substanzen, um endlich aus dem ewigen Gedankenkarussel auszusteigen.

 

Aber genau dieser Eigenschaften bedarf es auch im Buddhistischen, um zum Erwachen ("Erleuchtung" klingt mir in diesem Zusammenhang zu abgehoben!) zu kommen:

 

ALLE Konzepte loslassen, alle Schubladen beiseite legen - vorurteilsfrei und offen jeden

Augenblick neu und frisch willkommen zu heißen!

 

Tolle erwähnt in diesem Zusammenhang auch die Tiere. Auch diese handeln vollkommen aus ihrem Gefühl heraus. Einem Hund zum Beispiel, der jemand mit wedelndem Schwanz freudig begrüßt, ist es vollkommen egal, was dieser auf dem Bankkonto hat, ob er/sie einen guten Job hat, blendend oder durchschnittlich aussieht.

 

 

 Ein Hund freut sich einfach!

 

 

 

Eine Ethik des Herzens


 

Gegen Ende seines Vortrags wirbt Eckhart Tolle für die Idee des Dalai Lama, eine Erziehung des Herzens in das weltweite Bildungssystem zu etablieren.

 

Neben den Schulfächern, in denen es um Erlangung von Wissen und der Schulung von primär kognitiven Fähigkeiten geht, sei es wichtig auch Unterrichtseinheiten zu kreieren, in denen es um die Entwicklung von Herzensqualitäten wie Empathie, Freude und Mitgefühl gehe. Grundlage hierfür ist zunächst das Schulen von Achtsamkeit.

 

Im globalen Kontext sei es wichtig, eine gemeinsame Ethik des Herzens zu schaffen und zwar religionsübergreifend. Anstatt das Trennende der Religionen und Weltanschauungen hervorzuheben, gehe es darum zu erkennen, dass wir alle miteinander verbunden sind.

 

Auch an andere Menschen zu denken, für sie da zu sein, Empathie zu entwickeln, anstatt "America first" ......

 

 

Ein würdiges Schlusswort von Eckhart Tolles Auftritt,

wie ich fand!

 

 

 

Solltest Du Anregungen, Fragen oder Anmerkungen zu diesem Blogbeitrag haben, dann schreibe diese sehr gerne in das Kommentarfeld unten oder eine Email an info@tom-schindler.de.

 

Ich freu mich!

 

 


Quellen/Anmerkungen:

 

[1] Ein Beispiel: Eckhart Tolle, 23.02.2020, Wir leben immer im JETZT, auf: YouTube.com, abgerufen am 29.08.2020

[2] Anmerkung des Autors: Neben der Entwicklung von WEISHEIT, die die Leerheit erkennt oder Die Sichtweise, wie die Dinge tatsächlich existieren. Vgl. hierzu: Dalai Lama, 2012, Die Leerheit verstehen, in: freiheit-des-jetzt.de. Abgerufen am 31.08.2020.

Eine mehr wissenschaftliche Abhandlung zum Thema Leerheit findet Ihr bei Dr. Alexander Berzin, o. D., Die Grundlagen für das Verständnis der Leerheit, in: studybuddhism.com. Abgerufen am 31.08.2020

[3] Interview mit der Selbstmitgefühlstrainerin und Psychotherapeutin Christine Brähler, 2015, Selbstmitgefühl - ein sicheres Fundament, in buddhismus-aktuell.de. Abgerufen am 02.09.2020

[4] vgl. Brähler, Unterschied Selbstmitgefühl und Narzissmus (Antwort auf die letzte Frage)

[5] Wikipedia, genaue Bedeutung von Bodhisattva, abgerufen am 27.08.2020

[6] Das Evangelium nach Mattäus, o. D., Der Rangstreit der Jünger, in: bibelwissenschaft.de, abgerufen am 31.08.2020


Kommentar schreiben

Kommentare: 5
  • #1

    Steffi Z (Montag, 31 August 2020 15:01)

    Schöner Artikel und so wichtige Gedanken zurNächstenliebe, gerade in diesen Zeiten... danke, Tom!

  • #2

    Tom Schindler (Montag, 31 August 2020 16:36)

    Danke Steffi, das freut mich.

  • #3

    A.R.S. (Dienstag, 01 September 2020)

    Wenn man die Religionen auf ihren Kern reduziert, sind die Unterschiede in der Tat gering. Beim Blick auf die jeweiligen Kirchen mag das ganz anders sein.
    Die Entwicklung von Mitgefühl oder Nächstenliebe setzt m.E. voraus, dass Du Dich selbst liebst. Denn Du kannst den nächsten nur so (viel) lieben wie Dich selbst. Darum lasst uns Herzensqualität für Dich selbst und uns alle entwickeln.

  • #4

    Tom Schindler (Mittwoch, 02 September 2020 17:48)

    Vielen Dank für den wertvollen Hinweis zur Selbstliebe!!
    Das stimmt absolut.
    Habe den Artikel um den wichtigen Aspekt des SELBSTMITGEFÜHLS gerade ergänzt.

  • #5

    Michael (Freitag, 18 September 2020 13:23)

    Wunderbar geschrieben und eine schöne, wertvolle Brücke zwischen Buddhismus und Christentum. Denke, wenn sich Religionen und die Menschen dahinter mehr für sich und andere in liebevoller Bewusstheit öffnen würden, wäre manches leichter.

    Wie erfreulich es doch ist, anhand solcher Texte Gemeinsamkeiten zu erkennen und sich nicht nur auf Unterschiede und Gegensätze zu konzentrieren. Weiter so!